Horus-Statue vor dem ersten Pylon

Gleich zu Anfang fällt eins ins Auge: diejenigen Teile, die von Edfu erhalten sind, sind außergewöhnlich gut erhalten. Der Pylon ist fast komplett, eigentlich fehlen außer ein paar Steinen oben nur die Fahnenmasten, die in die Nischen gehören. Wobei mich mal interessieren würde: Waren eigentlich auch die Pylonen so knallbunt, wie es manche Sonne und Wetter weniger ausgesetzten Bauteile noch heute sind? Der Anblick muss einfach umwerfend gewesen sein.

Andererseits wird spätestens bei Anblick der Säulenhalle klar, dass es sich hier um ein ptolemäisches Bauwerk handelt, also im Grunde nicht mehr als der Abgesang einer vor 2000 Jahren schon alten Kultur. Verschiedene "Ptolemäusse" sind als Bauherren überliefert, teilweise findet man auch ihre Kartuschen, aber letztendlich ist keiner von Ihnen auch nur ansatzweise so bedeutend und prägend geworden wie die Herrscher z.B. des Neuen Reiches.

In jedem Fall war der Tempel von Edfu Hauptkultort des Horus und war daneben seiner göttlichen Familie, also der Hathor von Dendera und ihrem gemeinsamen Sohn Harsomtus gewidmet. Verschiedene übermannshohe, imponierende Falkenstatuen lassen an der Bedeutung des Horus als Vater des jeweiligen Königs auch keine Zweifel.

Säulenhalle in Edfu
Horus-Statue

Die Säulenhalle mit den charakterischen ptolemäischen Kapitellen. Spätestens hier wird auch mit Blick auf die Säulengänge ringsum klar, warum dieser Tempel als einer der besterhaltensten Ägyptens gilt.

Vorbei am Horus mit der Doppelkrone Ober- und Unterägyptens betreten wir die Säulenhalle. Es würde sicherlich helfen und interessant sein, wenn auch Zeit bliebe, die Säulengänge anzusehen, aber das wird man mit einer Gruppenreise nicht schaffen. Hier zählt schnelles Durchschleusen durch möglichst viele Sehenswürdigkeiten, nicht deren Erklärung und Erkundung. Häufigster Satz unseres guides: "Alle ägyptischen Tempel sind immer gleich." Damit sind dann schon mal aufkommende Fragen im Keime abgetötet, gibt ja eh nichts besonderes zu sehen.

Um das nicht besondere zu sehen, begeben wir uns also durch die Säulenhalle ins Allerheiligste: den Barkenschrein.


Durchgänge zum Allerheiligsten

Hier kann man es einmal besonders gut sehen: Das Allerheiligste war ein sehr exklusiver Raum. Dorthin hatten nur zwei Personen Zugang: der König als höchster Priester des Landes und der Hohepriester, der Erste Prophet des Tempels. Letzterer aber auch nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung, da der König ja nicht ständig überall sein kann und die Riten trotzdem abgehalten werden müssen. Und graduell, je nach Dienstgrad, hatten Personen Zugang unterschiedlichen Grades bis zu unterschiedlichen Türen und Schranken.


Horusbarke in Edfu

Selbst wir können heutzutage das Allerheiligste nur betrachten, aber nicht betreten. Dafür erwartet uns hier der Nachbau der Horus-Barke, wie sie an Feiertagen von Priestern aus dem Tempel getragen und dem Volk gezeigt wurde. Dieser Nachbau steht hier noch nicht sehr lange, deshalb habe ich nicht herausfinden können, ob Originalteile verwendet wurden. Es hat jedenfalls den Anschein, aber den kann man ja nach Bedarf herstellen.
Auf jeden Fall kann man sich hier einmal vorstellen, wie es im Original ausgesehen haben mag, wenn auch ohen Farben. Denn dass zumindest manche Innenräume farbig bis knallbunt gestaltet waren, ist sicher. Übrigens darf man hier auch fotografieren, wenn der Blitz abgeschaltet wird.

Barke des Re-Harachte Barkenrelief Barke beim Fest der schönen Begegnung

Die Götter, die in den Statuen und mit den Statuen in den Tempeln wohnten, hatten ein Problem: sie waren verheiratet mit Göttern, die anderswo in anderen Statuen wohnten. Damit diese sich also nicht zu sehr nach einander grämten, gab es jeweils ein jährliches Fest, das zweiwöchige "Fest der schönen Begegnung", bei dem die Statuen zu gegenseitigen Besuchen gefahren wurden. Und das ist auf den ca. 180 km zwischen Dendera und Edfu ein ganz erheblicher logistischer Aufwand, der auf einigen Reliefs im Vorhof abgebildet ist.

Ptolemaios VIII. Philometor   unbekannte Göttin, vielleicht Meret

Zwei Reliefs in der Säulenhalle bzw. den etwas versteckteren Gebäudeteilen: Der Herr rechts mit dem Sistrum in der Hand und der bemerkenswerten Hem-Hem-Krone ist einer der Bauherren des Tempels, Ptolemaios VI. Philometor. Die Dame rechts habe ich aber noch nicht identifizieren können. Die drei Schilfblüten auf ihrem Kopf und die Fische und Enten an ihren Händen lassen mich vermuten, dass es sich um Meret, die Frau des Nilgottes Hapi, handeln könnte. Aber genau weiß ich es nicht.

Horus und Nechbet mit leerer Kartusche Kartuschen von Ptolemaios Euergetes

Beredtes Beispiel für die bewegten Zeiten der ptolemäischen Fremdherrschaft. Es ist eine Kartusche für den Herrscher vorgesehen, aber für welchen, mochte man nicht festlegen. Vielleicht war das nicht so ganz klar, vielleicht wollte man nicht auf der falschen Seite wiedergefunden werden, vielleicht wollte man den Eintrag auch aufheben für den Zeitpunkt der Vollendung. An anderer Stelle hat sich einer der diversen Bauherren doch noch verewigen lassen: Ptolemaios VIII. Euergetes II.

Ptolemaios VI. und Horus

Anscheinend ist nichts und niemand vor den Zerstörungen der Nachwelt bewahrt geblieben, nicht einmal Horus und in diesem Fall Ptolemaios VI.. Die moslemischen Touristenführer verweisen da gern auf die Kopten und das mag auch häufig stimmen. Aber das ist auch kein Wunder, wo doch der altägyptische Götterhimmel vom frühen Christentum abgelöst wurde, danach erst vom Islam.

Trotz der Zerstörungen sind noch immer umfangreiche Texte an den Wänden erhalten, die jetzt durch das Edfu-Projekt umfassend dokumentiert und übersetzt werden.