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Was bleibt

Zum dritten Mal "Eye of the Wind", 5 Wochen lang. Von Kopenhagen nach Wales, ein gewisses Kreuzfahrtambiente meistens inbegriffen. Was soll man dazu schreiben? Zum Schiff ist nichts mehr zu sagen, das habe ich schon versucht. Und der Törn selber? Was bleibt, sind nicht Kurse und Windstärken. Es sind Gesichter, Bilder, Worte und Momente.

Das Wiedersehen mit Freunden, die man zwei Jahre nicht gesehen hat und sich doch erinnert, als wäre es gestern gewesen.

Wachen, in denen man sich auf den Rahen vorkam wie beim Rodeo und solche, bei denen extra am Fußpferd gewackelt wurde - damit es spannender wird.

Tresco, die Trauminsel.

Das Kommando "Vorbram sanft umbrassen!", weil sich dort seit 2 Stunden ein Mövenküken sonnte.

Der Wind, der am liebsten dann einschlief, wenn das Dingi zu Wasser gelassen wurde.

Der gut gemeinte Ratschlag, die Köpfe aus der ungesicherten Ladeluke zu nehmen: "Wenn die rüberklappt, da ist die französische Revolution nix gegen!"

Clairs Skisocken, die ich in der Nachtwache über meinen Socken unter den Gummistiefeln trug.

Eine irische Kneipe, singend den Gefangenenchor aus Nabucco.

Die Aufschrift auf Kirstys T-Shirt: "Es ist ja nicht nur, daß ich perfekt bin, ich bin auch noch aus Schottland!"

Die Akkupressurarmbänder, die mich diesmal vor der Seekrankheit bewahrten.

Die Nacht, in der ich mich in meiner Koje festklemmen mußte, um drin zu bleiben.

Abendliche Hafenrundfahrten im Schlauchboot.

Kleine, zarte Zugvögel, wohl Rohrsänger, die im Sturm bei uns Schutz suchten.

Schwimmen neben einem Schiff unter vollen Segeln.

Das Geschmeicheltsein, wenn mich mal wieder einer für Stammcrew hielt.

Ankerplätze in dänischen Sunden, die verblüffende Ähnlichkeit mit Brandenburger Seen hatten.

Der Trinkspruch "Auf Eastbourne, weil es gottseidank eine Meile weit weg ist!"

Die freche Behauptung, Australisch und Englisch wär dasselbe.

Knieschlotternde Brückenunterquerungen - wird die Durchfahrtshöhe stimmen?

Jills ungefragte Antwort an gaffende Besucher: "Ja, wir beißen!"

Einen freundlichen dänischen Archäologen, der mit seinem Metalldetektor meinen verlorenen Ohrring im Gras suchte.

Die Beantwortung der Frage "Kann ich Dir helfen?" mit Referaten: "Was ich tue, ist folgendes..."

Das Lied von Willie Taylor im Sonnenuntergang.

Schottische Volkstänze, die wir selbst nicht kannten, aber vor Publikum im Bierzelt aufführten.

Die Aufforderung meines Wachleiters: "Komm ans Ruder, das mußt du erleben! Heute ist es noch schöner als sonst!"

Dankbar in Empfang genommener Glühwein, mitten im August - anderentags dafür ausgiebige Sonnenbäder.

Eltern, die gerade eben oder vor 20 Jahren schon mal mitgesegelt sind und jetzt ihre Kinder schicken.

Delphine in der Irischen See, einige davon noch Babys.

Der Liegeplatz in Svendborg, den wir nicht bezahlen mußten, "weil wir schön und berühmt sind".

Brixham, das so aussieht, wie man sich alte Schmugglerstädtchen vorstellt.

Und der Schabernack angesichts großer Frachter: "Los, wir dippen die Flagge, dann muß da drüben extra einer zum Mast rennen!"

(1996)

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