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Lerwicks Bid

Es war nicht meine erste Cutty Sark Race. Und ich weiß ja auch, wie das ist und warum das so ist: Man sitzt ein paar Tage im Hafen und pickt sich aus dem Angebot heraus, was einem gefällt. Derweil tut man sich den Rummellärm an, man kämpft sich mit wechselnder Geduld durch die Menschenmassen, läßt sich begaffen wie im Zoo, teilt stundenlang Stempel aus (Wer hat bloß die Stempelseiten im Regattajournal erfunden?) und freut sich, wenn es dann wieder raus geht - auf See oder nach Hause, jedenfalls dahin, wo Ruhe ist. Anders geht es nicht, die Schiffe müssen ja Geld verdienen und Reklame machen. Dachten alle.

Es war in St. Malo, als die Regatta grüppchenweise durch die Schleusen geschaufelt wurde. Zu unserer Gruppe gehörten keine riesigen, aber mehrere sehr sehenswerte Schiffe und Lokalmatadoren - u.a. "Eye of the Wind", "Asgaard II", "Etoile Molene" und "Athena". Eins nach dem anderen legte ab und nahm Kurs durch die Hafenbecken auf die offene See. Doch als eine hölzerne Heringsketsch ablegte, zog sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Dort hatte man nicht nur ein Transparent in französischer Sprache mit einem Dank an die Stadt vorbereitet, sondern noch ein ganz besonderes Schmäckerchen: An Bord saßen ein paar Jungs und fiedelten und klampften sich fast die Seele aus dem Leib. Während der Stunde, die wir auf die Öffnung der Brücke warten mußten, wurden sie nicht müde, trotzdem viel von ihrer Vorstellung auf dem Weg zum Publikum verflog. Ein Blick auf den Bug des Schiffes und einer auf das Heck: die "Swan" aus Lerwick. Aus Shetland also, diesem baumlosen, grausig kalten Ende der Welt gleich am Polarkreis, zu dem wir im Laufe der Regatta leider noch hinmußten. Eine freundliche Welle schlug diesem alten, wunderbar gepflegten Boot entgegen, das bis dahin sicher die wenigsten wahrgenommen hatten.

Die erste Regattaetappe war von beschränkter Schönheit. Wir - die "Eye of the Wind" - hatten zwar einen guten Start, litten dann aber wie alle Rahsegler unter tagelangem Gegenanwind, der sich bis Stärke 7 aufbaute. Manche Schiffe hatten Glück mit der richtigen Brise zum richtigen Zeitpunkt. Bei einigen Schiffen kommt diese Brise allerdings eigenartigerweise immer nachts oder wenn niemand wirklich weiß, wo sie sind... Im Grunde interessiert das ja aber nicht wirklich, es gibt dann eben ein paar Dieselshtern-Witze mehr und das Bedauern, daß nicht jeder der sonstigen Kandidaten sich so gut für Wortspielereien eignet.

Greenock war dann genau das, was man eben so als Regattahafen kennt, siehe oben. Nicht besser und nicht schlechter als die meisten anderen. Es gab Bustouren und Veranstaltungen der Stadt, aber wenn man über das Abendprogramm nachdachte, stand immer die selbe Alternative: Gehen wir zur "Swan" oder woanders hin? Sicherlich wird diese Frage nicht für die großen Pötte gestanden haben, aber wir waren nicht die einzigen mit ständiger Einladung zu shetländischer Gastfreundschaft. Und auch wenn man zu spät kam und die Fiedeln schon eingepackt waren: nette Leute, lange Nächte und ein Bier gab es immer.

Nach Greenock dann Kreuzfahrt durch die Inneren Hebriden bei Wärme und Sonnenschein - ein wahrhaft seltenes Glück. Doch wir hielten nordwärts auf Shetland zu und mit jeder Seemeile wurde die See rauher und kälter. Wir mummelten uns ein und zogen eine Lage über die andere bis wir das Wetterzeug gerade noch schließen konnten. Wir wollten vor Lerwick noch um das nördlichste Ende Großbritanniens, die Insel Unst. Dort wurde das Wetter richtig schlecht und die Wellen bauten sich bis 5 m auf. Als wir Balta, den Hafen auf der Nordseeseite von Unst, anliefen, hatten wir einen Tag Verspätung, müde Knochen und das uns zu Ehren veranstaltete Rockfestival mit fünf örtlichen Bands verpaßt. Trotzdem stand wohl der größte Teil der Einwohner an der Pier, um uns zu begrüßen. Es gab trotzdem Bustouren und Führungen über die Insel, ein großes Essen zusammen mit ganz Balta im Gemeindesaal und im einzigen Pub eine spontane Fete, die ihresgleichen sucht. Und am nächsten Tag liefen wir in Lerwick ein.

Ja, es ist kalt dort und Bäume gibt es tatsächlich nicht. Aber es gab hier das wärmste Willkommen, an das sich irgendeiner von uns erinnern konnte.
Fünf Jahre hatte die Stadt sich auf die Regatta vorbereitet, Ideen und Geld zusammengetragen. Das ist vielleicht nicht das besondere. Das besondere war, daß sich ganz sichtbar auch jeder Bürger persönlich darauf gefreut hatte und seinen Anteil daran haben wollte, daß wir die Freude teilen. Hier waren wir einmal nicht die Schießbudenfigur, sondern Freunde und Gäste.

Mit leuchtenden Augen gingen die Gastgeber durch den Hafen, fragten uns, wie denn die Fahrt gewesen sei, nach der Höhe der Masten und dem Leben an Bord. Mit leuchtenden Augen gingen wir durch den Hafen und fotografierten die Männer, die sich völlig privat extra für uns in die aufwendigen Wikingerkostüme geworfen hatten, die sie für eine Art Fasching im Januar anfertigen. Auf den hochinteressanten Busfahrten über die vermeintlich öde Insel wurden wir in den Gemeindesälen mit heißer Suppe, Klappstullen und Kuchen aus mindestens 10 verschiedenen Küchen verköstigt - serviert von den Hausfrauen des Dorfes. Kinder hatten zwei Schaufenster voller Schiffe, Menschen und Seegetier gestrickt, schließlich ist hier das Land des Shetlandpullovers. Und abends spielte bis spät in die Nacht Lifemusik in jedem Pub und auf 3 großen Bühnen, alles bei freiem Eintritt und fast immer aus der Gegend. Und hier lernten wir dann auch, daß wir in St. Malo und Greenock nicht etwa nur mit ein paar netten Jungs gefeiert hatten - keineswegs. Die Stadt Lerwick hatte uns ihre beste und berühmteste Band entgegengeschickt: Fiddlers Bid. Sie hatte die Regatta auf der hundertjährigen "Swan" mitgesegelt, gehörte zu uns und stand nun auf den Bühnen aller offiziellen Festivitäten. Eine mutige Entscheidung, denn das junge Regattavolk hört zu Hause sicher selten Bands, die sich aus 4 Violinen, 2 Gitarren, einer Harfe und einem Klavier zusammensetzen. Aber wir hatten ja auf nichts anderes gewartet - die hochschlagende Stimmung entzog sich der Beschreibung ebenso wie die Tänze, die wir dazu ad hoc erfanden.

Das kollektive Geknuddeltwerden erzeugte auch bei uns völlig neue Bräuche. Wir luden wildfremde Leute auf das sonst immer geschlossene Schiff ein und verteilten auf der Crewparade Rum an die Zuschauer. Und ergriffen jede Gelegenheit die Frage zu beantworten, die jedem dort auf der Seele lag: "Gefällt Euch denn, was wir uns für Euch ausgedacht haben?" Es gefiel uns. Und zum ersten Mal haben wir einen Hafen nicht gern verlassen.
Übrigens ist Aalborg auch kein schlechter Ort. Nur die kommenden Gastgeber der Tall Ships Race haben alle ein Problem: der Standard ist jetzt ein anderer. Die kleine Stadt Lerwick am Ende der Welt hat eine Vorgabe geliefert, an der sich andere messen lassen müssen. Leicht wird es keinem fallen.

Der besagte "Karneval" auf Shetland im Januar läuft folgendermaßen ab: im Januar wird der Jarl gewählt, der dann ein Jahr Zeit hat, nicht nur mit seiner Truppe neue Wikingerkostüme auszudenken und anzufertigen, sondern vor allem ein Boot bauen muß. Ein richtiges seegehendes Wikingerschiff. Zur allerekelhaftesten Zeit des Jahres, wenn der Tag ungefähr 3 Stunden lang ist und der Eiswind über die kahlen Hügel pfeift, wird es fertig. Dann nehmen die Wikinger das Schiff, das sie tragen könnte wohin sie wollen, in einem Triumphzug mit sich. Sie suchen einen sicheren Platz und verbrennen es unter Freudengeschrei. Jedes Jahr aufs neue. Denn wer will Shetland schon verlassen?

(1999)

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